Pressemeldung

Die Energie- und Klimawende hat viele Facetten

Baurundblick: Interview mit Dr. Volker Müller, Hauptgeschäftsführer, Unternehmerverbände Niedersachsen e.V. (UVN)

Dr. Volker Müller, Hauptgeschäftsführer Unternehmerverbände Niedersachsen e.V.
Dr. Volker Müller, Hauptgeschäftsführer Unternehmerverbände Niedersachsen e.V.

Die deutsche Wirtschaft beklagt ein Versagen der Politik, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Nennen Sie die Forderungen der niedersächsischen Wirtschaft.

Dr. Volker Müller: Damit unsere Unternehmen wettbewerbs- und handlungsfähig bleiben, brauchen wir bezahlbare Energiekosten, deutlich weniger Bürokratie, schnellere digitale Verwaltungswege und eine ganzheitliche Fachkräftesicherung, in der nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht. Insbesondere im Bereich der Rohstoffsicherung gilt es, wesentliche Produzenten und Ressourcen am Standort zu halten und auf eine moderne Kreislaufwirtschaft zu setzen. Hier gibt es ein enormes Innovationspotenzial, das wir heben müssen. Weiter muss die Steuerbelastung der Unternehmen auf im internationalen Vergleich übliche maximal 25 Prozent gesenkt werden.

Der beschlossene 10-Punkte-Plan während der Kabinettsklausur in Meseberg Ende August beinhaltet wichtige Ansätze, um Wirtschaft und Industrie mittelfristig zu unterstützen. Mit Blick auf das Wachstumschancengesetz, weitere Bürokratieentlastung, die Digitalisierungsoffensive und die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren muss die Bundesregierung nun zeigen, dass sie nicht nur Versprechungen macht, sondern auch zügig liefert.

Was aber fehlt, ist eine kurzfristige Lösung, um unsere Wirtschaft jetzt vor der existenziellen Bedrohung hoher Energiepreise zu schützen. Dazu brauchen wir dringend einen breit angelegten, bürokratiearmen Transformationsstrompreis auf Zeit für alle energieintensiven Branchen sowie eine dauerhafte Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau, eine Reform der Netzentgelte und mehr Energiespeicher für erneuerbare Energieparks. Ansonsten verlieren wir maßgebliche Branchen am Standort Deutschland und reduzieren die Resilienz unserer Wirtschaft.

In einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) wird dem Standort Niedersachsen bei der Verkehrsinfrastruktur ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt. Insbesondere mit der A39 könnte die Verkehrsanbindung in dieser Hinsicht sehr schlecht bewerteter Regionen erheblich verbessert werden. Setzt sich die Niedersächsische Landesregierung aus Ihrer Sicht ausreichend für die Realisierung dieses Projektes wie auch anderer Autobahnen, wie z.B. der A20, ein?

Dr. Volker Müller: Ja, der Zustand unserer Landesstraßen und Brücken sowie der Planungsstillstand wichtiger Bundesstraßen und Autobahnen belasten den Individualverkehr und den Güterverkehr enorm.  Insbesondere der grüne Koalitionspartner in Niedersachsen lehnt den Vorstoß von Wirtschaftsminister Olaf Lies für den Neu- und Ausbau dringend notwendiger Schnellstraßen wie der A 39 und der A 20 ab. Wir setzen uns dafür ein, dass die Landesregierung diese Verkehrswege, wie im Koalitionsvertrag geplant, unter Berücksichtigung des erforderlichen Klimaschutzes, zügig in Angriff nimmt.

Noch immer gelingt es regelmäßig nicht, die zur Verfügung stehenden Bundesmittel abzurufen, so dass andere Bundesländer, insbesondere Bayern, übriggebliebene Mittel für ihre Infrastruktur nutzen können. Niedersachsen muss hier dringend aufholen, damit auch wir fertig geplante Projekte in den Schubladen haben und nicht abgerufene Mittel anderer Bundesländer zu uns umlenken können.

Für ein modernes und klimafreundliches Mobilitätskonzept müssen alle Verkehrsträger zusammen gedacht werden. So wird die Straße, neben dem massiven Ausbau von Schienen und Wasserstraßen, weiterhin der Verkehrsträger sein, über den der Großteil der anfallenden Güterverkehrsleistung abgewickelt und die Individualmobilität in ländlichen Regionen sichergestellt wird. Gerade mit Blick auf eine voranschreitende Globalisierung und die parallele Zunahme lokaler Wirtschaftskreisläufe und -netzwerke werden die A 20 und A 39 für schnellere und damit kürzere, klimaschonende Wege sowie eine deutliche Entlastung vorhandener Verkehrswege und damit weniger Staus und Unfälle sorgen.

Wir betreiben in Niedersachsen einen beschleunigten Ausbau von LNG-Terminals, Windkraftanlagen, Wasserstoff-, Ladesäuleninfrastruktur und Stromtrassen und beschäftigen uns vornehmlich mit einer vom russischen Gas unabhängigen Energieversorgung in Europa. Vergessen wir dabei die Grundlagen, um die Energiewende zu erreichen?

Dr. Volker Müller: Die Energie- und Klimawende hat viele Facetten. Neben einem bewussten Umgang mit Energie und effizienten Produkten, befinden wir uns mitten im technologischen Umbau hin zu erneuerbaren Energiequellen, einer intelligenten Speicherung und Verteilung in Form von Stromnetzen und Ladeinfrastruktur sowie der Sicherung notwendiger Importe, auf die wir aufgrund aufgegebener Kern- und in Kürze Kohlekraft, dringend angewiesen sind.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Beschleunigung der Genehmigungen für die LNG-Terminals hauptsächlich dadurch erreicht wurde, dass Personal von anderen Behörden für diese Projekte abgezogen wurde. Die Planungsunterlagen haben trotzdem mehr als 10.000 Seiten umfasst. Hier scheinen die maßgeblichen Voraussetzungen tatsächlich in Vergessenheit zu geraten. Um in der Breite schneller zu werden, sind eine deutliche Entbürokratisierung, schnellere Genehmigungen, die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft und eine Fachkräfteoffensive grundlegend. Dabei dürfen wir die Grundstoffindustrie, Unternehmen und Handwerksbetriebe nicht auf dem Weg verlieren. Sie brauchen während der Transformation wettbewerbsfähige Energiekosten und steuerliche Entlastungen, um weiter in die Transformation investieren zu können. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Produkte und Lösungen für unsere Ziele auch am Standort Europa produzieren, verarbeiten und bedienen können.

Die Bauindustrie beklagt häufig, dass bei der Ausschreibung von Bauleistungen durch öffentliche Auftraggeber die Verwendung von RC-Materialien offen oder indirekt ausgeschlossen wird, indem man die Verwendung von Natursteinen vorschreibt. Dies, obwohl das Niedersächsische Abfallgesetz eine Regelung enthält, wonach öffentlichen Auftraggebern insoweit eine Vorbildfunktion zukommt und diese gehalten sind, bei der öffentlichen Auftragsvergabe RC-Materialien zu bevorzugen. Wie kann aus Ihrer Sicht eine bessere Durchsetzung des Gedankens der Kreislaufwirtschaft im öffentlichen Bau gelingen?

Dr. Volker Müller: Die Landesregierung muss noch stärker und konsequent die Verwendung von Recyclingmaterialien bei öffentlichen Aufträgen durchsetzen, in dem sie diese verpflichtend vorschreibt. Schon lange geht es nicht mehr nur um eine Vorbildfunktion. Der konsequente Einsatz von Recyclingmaterialien beschleunigt unsere Innovationsfähigkeit, schont natürliche Ressourcen, reduziert internationale Lieferkettenprobleme und gewährleistet unsere Versorgungssicherheit. Eine voll leistungsfähige Kreislaufwirtschaft mit ihren Schwerpunkten Recycling, Vermeidung, Wiederverwendung und Reparatur ist das Zukunftsmodell für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen.

Recycling muss auf allen Ebenen eine deutlich höhere Priorität haben. Deshalb braucht auch die neue Ersatzbaustoffverordnung des Bundes eine ernsthafte Überarbeitung. Darin bleibt unklar, ab welchem Zeitpunkt nach dem Ausbau mineralische Ersatzbaustoffe nicht mehr als Abfall zu qualifizieren sind. Das hat umfangreiche rechtliche Konsequenzen, die einen erheblichen Mehraufwand bedeuten und am Ende dazu führen, dass das Material in der Praxis auf der Deponie landet und nicht dem Recycling zur Verfügung steht. Hier muss ein Umdenken pro Recycling stattfinden.

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