Pressemeldung

Fachkräftesicherung bleibt dringendes Thema

Baurundblick im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler, Präsident der Ingenieurkammer Niedersachsen

Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler
Präsident der Ingenieurkammer Niedersachsen

Die Ingenieurkammer hat kürzlich das Jubiläum anlässlich des 35-jährigen Bestehens gefeiert. Wo steht die Kammer heute?

Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler: Seit mehr als drei Jahrzehnten setzen wir uns erfolgreich für die Belange unserer Mitglieder ein, fördern den Ingenieurnachwuchs und machen die gesellschaftliche Relevanz unserer Berufsgruppe sichtbar.
Wir freuen uns, dass wir nach 35 Jahren mit einem starken und wachsenden Mitgliederbestand positiv dastehen. Wir haben bei vielen entscheidenden und für uns richtungsweisenden Gesetzesinitiativen mitgewirkt, unzählige Projekte verwirklicht, Innovationen gefördert und dazu beigetragen, große Herausforderungen in Technik, Wirtschaft und Gesellschaft zu meistern. Wir haben und pflegen heute einen sehr intensiven und konstruktiven Austausch mit der Landesregierung. Wir sind Partner und Sprachrohr in die Politik hinein. Da wollen wir mit einem breiten Berufsstand weiter wachsen, der es uns ermöglicht, die Interessen zu definieren und durchzusetzen. Wir stehen im guten Schulterschluss mit den Verbänden und Vereinen; gemeinsam haben wir uns für die im letzten Jahr umgesetzte Umbauordnung stark gemacht, damit Niedersachsen im Bauwesen einfacher, schneller und damit auch kostengünstiger wird. Gleichwohl setzen wir uns für die Qualitätssicherung bei der Leistungserbringung von Planenden ein, von der Bauvorlage über Ingenieurausbildung bis hin zur öffentlichen Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen: Wir schaffen Sicherheit, denn auf die, die bei uns eingetragen sind, auf die kann man sich verlassen. Gerade die komplexen Aufgaben unserer Zeit – vom Klimaschutz über die Digitalisierung bis hin zu einer nachhaltigen Energiegewinnung – zeigen eindrücklich: Ohne die Expertise und den Weitblick von Ingenieurinnen und Ingenieuren sind diese Herausforderungen nicht zu bewältigen.

Was sind aus Ihrer Sicht neben dem Fortschreiten des Digitalisierungsprozesses die dringlichsten Aufgaben, die in der Bauwirtschaft angegangen werden müssen?

Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler: Dies sind prioritär die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Modernisierung der Infrastrukturen und Schaffung von bezahlbarem Wohnungsraum. Außerdem spielen die Fachkräftesicherung und entscheidend auch Bürokratieabbau und Deregulation eine wichtige Rolle. Die Bauwirtschaft muss ihren Ressourcenverbrauch und die Emissionen nach wie vor deutlich senken. Da sind nachhaltige Bauweisen und Materialien essenziell. Zudem müssen wir unser Normungswesen überdenken. Ziel von Normung kann zukünftig nicht sein, die Standards stetig zu erhöhen. Digitale Technologien und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) werden uns künftig sicher helfen, die Effizienz und Kosteneffektivität zu steigern. Die Investitionen in unsere Infrastrukturen, sichere Brücken und Straßen, und die Schaffung bezahlbaren Wohnraums müssen nochmals Fahrt aufnehmen. Zuverlässige Förder- und Investitionsrahmen tragen dazu bei, mehr Planungssicherheit zu bekommen. Es sind Investitionen in unsere Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit. Wir wünschen uns weitere Vereinfachungen bei Genehmigungs- und Planungsprozessen. Die Niedersächsische Umbauordnung war der erste Aufschlag, Bauprojekte im Bestand beispielsweise schneller und effizienter umzusetzen. Die Anpassung von gesetzlichen Rahmenbedingungen bietet uns Chancen, Hemmnisse zu identifizieren und abzubauen, damit wir die Potenziale voll ausschöpfen können.

Findet der Markt in den nächsten Jahren ausreichend gut ausgebildete Ingenieure? Wie beurteilen Sie die Nachwuchssituation?

Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler: Die Fachkräftesicherung bleibt ein drängendes Thema. Wir beobachten einen Engpass. Viele Ingenieurbüros finden aktuell keinen qualifizierten Nachwuchs. Bei den gegenwärtigen Herausforderungen bietet das Ingenieurstudium eine solide Basis und beste Perspektiven für junge Menschen. Ich bin da optimistisch, denn viele junge Menschen wollen an den Zukunftsthemen mitwirken. Das Delta überwinden wir am besten, wenn wir auch die Qualität unserer Ausbildungen auf einem guten Niveau halten und in Bildung investieren. Erfreulicherweise sehen die Einschreibezahlen wieder besser aus als in den Corona-Jahren. Wir beobachten leicht rückläufige Zahlen, aber noch innerhalb der üblichen Schwankungen, die über die vergangenen Jahrzehnte zu beobachten waren. Der Frauenanteil hat tendenziell zugenommen. Das freut uns sehr. Sorge bereitet uns nur, dass es zunehmend schwerer wird, Lehrstühle im Bauwesen zu besetzen. Wir wollen mehr junge Menschen für eine Karriere im Bauingenieurwesen begeistern. Ein hoher Stellenwert der MINT-Fächer in den Schulen ist dafür unerlässlich. Somit engagieren wir uns seit Jahren aktiv im schulischen Bereich. Unser Schülerwettbewerb Junior.ING ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass sich dieses Engagement lohnt: die Teilnehmendenzahlen steigen jährlich. Ergänzend spielt eine schnelle und gesicherte Integration von Fachkräften aus dem Ausland in den Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle. Als Ingenieurkammer Niedersachsen unterstützen wir diese vielfältig und sehr erfolgreich mit dem Programm des IQ Netzwerkes „Triple I – Ingenieure integrieren Ingenieure“.

Die noch amtierende Bundesregierung hat im November das Vergaberechtstransformationsgesetz vorgelegt. Wie schätzen Sie das Paket ein?

Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler: Damit der Standort Deutschland leistungsfähig bleibt, ist eine mittelstandsfördernde Politik unerlässlich. Für uns stellt der genannte „Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts“ eine Aufweichung des bisherigen Grundsatzes der mittelstandfreundlichen losweisen Vergabe dar. Denn bisher sieht § 97 Absatz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bislang vor, dass mehrere Teil- oder Fachlose nur dann zusammen vergeben werden dürfen, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.
Wir erkennen hier deutlich den Trend zur Abschaffung dieses seit Jahrzehnten bewährten Grundsatzes. Die fachlich unabhängigen, allein dem Auftraggeber verpflichteten Planerinnen und Planer stehen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe gleichsam außen vor – mit katastrophalen Auswirkungen für den Mittelstand. Der Generalübernehmer hat nicht die unabhängige Stellung des freiberuflichen Planers. Außerdem wird die Übernahme aller Leistungen aus einer Hand durch hohe Sicherheitsaufschläge teuer erkauft. Im Ergebnis verringert sich die Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers und die Kosten steigen. Das halten wir nicht für zweckdienlich. Das Ingenieurwesen braucht verlässliche politische Entscheidungen, um zukunftsgerecht und nachhaltig mitgestalten zu können. Wir erhoffen uns von der künftigen Bundesregierung ein Nachbessern.