News/Pressemitteilung

Planungsverfahren über alle Instanzen beschleunigen

Baurundblick: Interview mit Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler, Präsident der Ingenieurkammer Niedersachsen

Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler, Präsident der Architektenkammer Niedersachsen

Auf dem diesjährigen Neujahrsempfang der Ingenieurkammer haben Sie den Erlass einer Umbauverordnung in Niedersachsen gefordert, um Sanierungen zu vereinfachen.
Welche wesentlichen Inhalte sollte denn eine solche Umbauverordnung haben und stünde der Erlass einer solchen Verordnung nicht der auch von der Ingenieurkammer erhobenen Forderung nach Bürokratieabbau und Deregulierung entgegen?


Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler: Richtig, und diese von uns favorisierte Umbauverordnung ist ein Plädoyer für ernsthafte Maßnahmen zum klimaneutralen Bauen. Denn wir alle wollen Klimaschutz. Diesen Nachhaltigkeitsdiskurs müssen wir aktiver führen. Mit den Bestandsbauten haben wir Optionen, besonders im Wohnungsbau.

Sie fragen gezielt nach den Inhalten einer solchen Umbauverordnung: Wenn wir einen echten Beitrag zum Klimaschutz wollen, sollten wir über Suffizienz sprechen. Es gibt Lösungen. Konkret hieße dies, den Abriss von Gebäuden zum Beispiel erlaubnispflichtig machen, den Neubau nur noch im Plusenergiestandard und möglichst robust gestalten. Überhaupt sollte geprüft werden, ob ein Rohbau aus technischen Gründen zurückgebaut werden muss. Ausnahmen sollte es lediglich für positive CO2-Bilanzierung gegenüber Bestandserhaltung geben. Gebot wäre auch, ein Erhaltungs-, Abfallvermeidungs- und Entsorgungskonzept zu erstellen. Und diese Regelungen müssten stärker aus dem Abfallrecht und dem Kreislaufwirtschaftsgesetz separiert und als „Produktrecht“ erfasst werden.

Eine solche Umbauordnung steht weder Bürokratieabbau noch Deregulierung im Weg. Im Gegenteil. Wir wollen „back to the Basics“, also mit realistischen Bestandsaufnahmen zu klimaneutralem Bauen kommen. Und zum Beispiel auch die Normenflut eindämmen, ohne dabei die Qualitätsziele aus den Augen zu lassen. Also anders denken, anders planen – und dies müssen wir gemeinschaftlich in die (Bau-)Praxis umsetzen.

Bekanntlich wird gegenwärtig der Deutsche Ingenieurpreis Straße und Verkehr 2023 ausgelobt.

In der Kategorie Innovation / Digitalisierung werden dabei Neuerungen im Bereich der Straßen- und Verkehrswege gesucht, die die Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit, Technik und Funktionalität berücksichtigen und neue Ideen und Verfahren aufzeigen sollen.

In welche Richtung denkt die Ingenieurkammer hierbei konkret?

Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler: Die Digitalisierung im Bereich der Straßen- und Verkehrswege zielt insbesondere in zwei Richtungen:

1. Im Bereich der Mobilität soll durch die Vernetzung der verschiedenen Komponenten des Gesamtsystems die Leistungsfähigkeit verbessert und die Nachhaltigkeit erhöht werden. Wenn es gelingt, die Vorteile der unterschiedlichen Verkehrsträger zu kombinieren und diese dann den Nutzenden auf einer geeigneten Plattform anzubieten, dann können die vorhandenen Reserven unserer Mobilitätssysteme in jeder Richtung gehoben werden. Gute Apps zeigen im öffentlichen Verkehr nicht nur die Möglichkeiten eines einzelnen Verkehrsträgers, sondern kombinieren Wegeketten auch über diese Grenzen hinweg. So wird dem Nutzer nicht nur eine Zugverbindung angezeigt, sondern auch die möglichen Anschlüsse durch die lokalen Buslinien. Wenn es möglich wäre, hier auch noch freie Mietautos, Leihfahrräder oder offene Mitfahrgelegenheiten einzubeziehen und dies auf eine durchgängige Tarifplattform zu stellen, welche auch im Fall von Staus und Verspätungen den Nutzer leiten kann, dann hätten wir einen großen Schritt in Richtung Mobilitätswende geschafft.Die zu leistenden Anstrengungen in diesem Bereich sind groß und der Weg ist noch weit. Idealerweise werden die Nutzenden von einer geeigneten Datenumgebung geleitet und müssen sich um Fahrscheine, Anschlusszeiten, Platzreservierungen und ähnliche Dinge nicht mehr im Detail kümmern.

2. Im Verkehrswegebau wird es zunehmend wichtig, das Bauwerk über seine ganze Lebenszeit im Blick zu behalten, um so die beim Bau einmal eingesetzten Ressourcen bestmöglich zu nutzen. Hier kommt das sogenannte BIM – Building Information Modelling – ins Spiel: Es ist wichtig, dass schon bei der Erstellung eines Verkehrsweges die beteiligten Akteure – und das sind bei Linienbauwerken im Gegensatz zum Hochbau erstaunlich viele Stellen – miteinander in Kontakt kommen und diesen über die ganze Lebenszeit des Objektes nicht mehr verlieren. Dies erfordert eine völlig neue Sichtweise des Bauens und eine ganz andere Behandlung der Bauwerksdaten, als es bisher der Fall gewesen ist. Auf diese Weise werden die Instandsetzungsarbeiten und ihre Zyklen besser planbar und der Gesamtaufwand einschließlich des ökologischen Fußabdrucks einer Maßnahme wird kleiner.

Wie kürzlich zu lesen war, sind in Deutschland im Bereich der Bestandssanierung in den vergangenen 10 Jahren rund 340 Mrd. Euro investiert worden, ohne dass der Energieverbrauch pro Quadratmeter Wohnfläche und der Gesamt-CO2-Ausstoß des Gebäudebestandes signifikant gesunken wären.

Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit in diesem Bereich wirklich Fortschritte erzielt werden?


Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler: Hier zeigen sich die Auswirkungen des Rebound-Effekts. Unser Problem liegt darin, dass sich das Nutzerverhalten im Zuge des energetischen Standards bessere Dämmung insofern ändert, dass die Bewohner eher den bislang angezogenen Pullover ausziehen und stattdessen die Raumtemperatur anheben. Und bei einem nachträglichen Einbau von PV-Anlagen kostet der elektrische Strom „nicht mehr“, so dass dann auch gerne die elektrischen Verbraucher nicht mehr abgeschaltet werden. Insofern muss sich das Denken der Bewohner massiv ändern. Es geht nicht darum den Komfort zu erhöhen, sondern vielmehr darum, in derselben Form weiterzuleben. Diese Phänomene stellen den bereits mehrfach erkannten Rebound-Effekt bei der energetischen Gebäudemodernisierung dar. Konsens muss werden, Energie bewusst einzusetzen. Dies Thema muss nur vertieft besprochen und aufgeklärt werden. Vielleicht wäre ein Umdenken z. B. im Bereich der elektrischen Versorgung notwendig: Für den verbrauchten / bezogenen elektrischen Strom sind ca. 40 Cent/kWh zu zahlen. Für den eingespeisten Strom gibt es jedoch nur ca. 10 – 13 Cent/kWh. Wenn derselbe Strompreis existiere, so würde jeder den erzeugten Strom gerne einspeisen und sicherlich sein Verhalten entsprechend anpassen. Insofern ist die Politik verantwortlich, hier Änderungen zu ermöglichen.

Von Seiten der Wirtschaft, aber auch der öffentlichen Hand wird eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren gefordert. Digitalisierung und bessere Personalausstattung der Genehmigungsbehörden spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle.

Wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion?


Prof. Dr.-Ing. Martin Betzler: Beim Bau der LNG-Terminals haben wir gesehen, dass es schneller geht. Jetzt geht es also darum, die Planungsverfahren über alle Instanzen hinweg zu beschleunigen. Wir sind hier besonders aktiv. Zusammen mit der Architektenkammer und den kommunalen Spitzenverbänden als Vertreter der unteren Bauaufsichtsbehörden zielt unsere im Dezember 2022 getroffene Vereinbarung genau darauf ab, die Baugenehmigungsverfahren zu beschleunigen und die Qualität der Bauanträge sowie die Zusammenarbeit der Beteiligten zu verbessern – dafür steht die gemeinsame Selbstverpflichtung. Wir bauen damit das Verständnis füreinander aus.

Die Bauaufsichtsbehörden wollen zukünftig zügiger über einen Bauantrag entscheiden. Die Ingenieurkammer leistet gezielt Unterstützung und bietet wiederum allen Entwurfsverfassern und Entwurfsverfasserinnen Fortbildungsangebote, z. B. zum öffentlichen Baurecht das nötige Knowhow, um die Qualität der eingereichten Anträge zu steigern. Mit der Architektenkammer erarbeiten wir zudem einen Leitfaden, der eine konkrete Hilfestellung zur Erstellung von Bauanträgen bieten wird.

Im Zuge der Digitalisierung setzen wir auch auf die neue Datenbank www.di-bastai.de, die von den Kammern zur Verfügung gestellt wird und durch die die Behörden die Prüfung der Entwurfsverfasserqualifikation digitalisiert vornehmen können. Wir haben hier breitere Grundlagen für ein zügiges Vorgehen geschaffen, denn ein richtig gestellter Antrag beschleunigt das Bauen und spart Kosten für alle Beteiligten.

Die angesprochenen Personalausstattungen in den Genehmigungsbehörden sind Hemmnisse und dürfen kein Dauerproblem bleiben. Die öffentliche Hand ist gefordert, sich als leistungsfähiger Arbeitgeber zu präsentieren und sollte dabei berücksichtigen: Qualität hat ihren Preis, und diese muss sichergestellt werden.

 

 

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