Neben altbekannten Herausforderungen erschweren Zinssteigerungen, explodierende Energie- und Baumaterialpreise sowie die hohe Inflation die Bautätigkeit. Die anvisierten Neubauziele rücken in die Ferne, der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum ist hingegen ungebrochen hoch. Welche Lösungsansätze werden aus der Wohnungswirtschaft heraus gesehen und welche Forderungen werden an die Politik gestellt?
Dr. Schmitt: Unsere Mitgliedsunternehmen haben angekündigt, in diesem Jahr und vielleicht auch darüber hinaus ihre Neubautätigkeit drastisch einzuschränken. Nicht, weil sie es von langer Hand so geplant haben, sondern weil die Gemengelage ein Szenario des Schreckens bildet: hohe Baukosten, zu viele Vorschriften, teure Grundstücke, steigende Zinsen, mangelhafte Bundesförderung, fehlende Kapazitäten bei Bauindustrie und im Handwerk – dies lässt den Wohnungsgenossenschaften und kommunalen Wohnungsgesellschaft keine andere Wahl. Wir können schlicht und einfach keine Wohnungen errichten, die sechs oder vielleicht acht Euro pro Quadratmeter kosten sollen, wenn die echte Kostenmiete bei 17 Euro aufwärts liegt. Die Deckungslücke ist gravierend und muss von der Politik unbedingt ausgefüllt werden, will man die gesteckten Neubauziele auch nur ansatzweise erreichen. Und ich muss in dem Zusammenhang betonen: Unsere Mitglieder kalkulieren – anders als andere Akteure am Immobilienmarkt – mit geringsten Renditen; aber natürlich muss auch die Wirtschaftlichkeit von Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften aufrechterhalten werden, damit sie überleben können.
Das Umweltbundesamt und die Kommission Nachhaltiges Bauen haben kürzlich ein Positionspapier an die Bauministerin überreicht, wonach Sanieren im Bestand der Schlüssel für mehr bezahlbaren Wohnraum und Klimaschutz sein soll. Empfohlen wird hierzu u.a. die Musterbauordnung und die Landesbauordnungen so anzupassen, dass sie sich zukünftig an ambitionierten Nachhaltigkeitskriterien orientieren und den Vorrang des Bestandsschutzes vor Neubau vorsehen sollen.
Halten Sie diese Vorschläge für geeignet, der aktuellen Krise im Wohnungsbau entgegenzuwirken?
Dr. Schmitt: Sicher ist: Allein mit Neubau ist die Dekarbonisierung im Gebäudesektor nicht zu erreichen. Zu dominant ist schon rein mengenmäßig der Bestand. Das gilt auch für den Wohnungsmarkt. Die Unternehmen in unserem Verband verfügen über rund 400.000 Wohnungen – die Neubaurate lag zuletzt bei knapp 2500 Einheiten. Daran kann man das Verhältnis von Neubau zu Bestand erkennen. Also ist es nur konsequent, im Bestand die Potenziale für CO2- Reduktion konsequent zu nutzen. Wer dies schafft, kommt dem 1,5-Grad-Ziel schneller näher als durch verstärkte Neubautätigkeit. Die Landesbauordnungen dahingehend zu novellieren, dass schneller, einfacher und technologieoffener als bisher saniert und modernisiert werden darf, ist unerlässlich. Zudem brauchen wir quartiersbezogene Lösungen, die so weit als möglich dezentrale CO2-freie Wärme- und Stromversorgung bieten. Da sind die Kommunen gefragt. Die Landesregierungen und Niedersachsen und Bremen haben das erkannt, aber wir haben gemeinsam noch viel zu tun.
Führt der „Bremer Standard“ bei Konzeptvergaben im Hinblick auf Architektur und Städtebau zu einer Entlastung oder Belastung der Situation?
Dr. Schmitt: Die sozialorientierte Wohnungswirtschaft unterstützt die Ziele, die dem Bremer Standard zugrunde liegen. Wer in weniger als 20 Jahren klimaneutral sein will, muss jetzt die richtigen Weichen stellen. Die formulierten energetischen Ansprüche für neue Wohnhäuser und neue Wohnquartiere werden jedoch die Gestehungskosten in die Höhe schnellen lassen. Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen werden dort keine bezahlbare Wohnung finden. Der Senat muss an dieser Stelle unbedingt klarstellen, dass soziales und klimagerechtes Wohnen kein Widerspruch ist, und Lösungen anbieten.
Das Bundesbauministerium hat Pläne zur Neubauforderung vorgelegt. Das Programmvolumen wird demnach bei 1,1 Mrd. Euro liegen, wobei aber nur etwa 750 Mio. Euro dem Mietwohnungsbau zugutekommen sollen.
Wie beurteilen Sie dieses Programm?
Dr. Schmitt: Welche Ziele die Bundesregierung mit diesem Mini-Programm erreichen will, ist nicht ansatzweise erkennbar. Mehr bezahlbarer Wohnraum wird jedenfalls nicht geschaffen. Von Wumms ist absolut nichts zu erkennen. Grob gerechnet: Bei den derzeitigen Baukosten von 5000 Euro pro Quadratmeter könnten mit den zur Verfügung stehenden 750 Millionen Euro gerade mal 2000 75-Quadratmeter-Wohnungen errichtet werden – bundesweit! Das ist der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Zumal, und das betrifft die sozialorientierte Wohnungswirtschaft besonders hart, die Kluft zwischen den bezahlbaren Mieten und den Kostenmieten immer größer wird. Oder anders ausgedrückt: Dieses Neubauförderprogramm ist unsozial, denn es hilft den Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen nicht.
Im Gegensatz zu den Vorjahren enthält das Gutachten auch eine längere Textpassage zur Entwicklung der Bauinvestitionen. Zudem kam es erstmals im Vorfeld des Gutachtens zu einem Online-Gespräch der Wirtschaftsforscher mit den verantwortlichen Mitarbeitern der Bauverbände. Dieser Gedankenaustausch soll in Zukunft regelmäßig stattfinden. Der Text zur Bauwirtschaft lautet im Gutachten wie folgt:
Zinswende: Wohnungsbau in Schockstarre
Die Bauinvestitionen sind im vierten Quartal 2022 um 2,9 Prozent zurückgegangen, nachdem bereits die beiden vorherigen Quartale rückläufig waren. Der Wohnungsbau war davon am stärksten betroffen, während sich der Wirtschaftsbau robust zeigte. Zwar sind angebotsseitige Produktionsbehinderungen, wie fehlendes Material und Lieferengpässe, welche die Bauwirtschaft über die vergangenen beiden Jahre massiv behindert hatten, über das letzte Halbjahr deutlich zurückgegangen. An deren Stelle dämpft nun allerdings die schwindende Nachfrage aufgrund der deutlich gestiegenen Zinsen und der weiterhin hohen Baupreise die Baukonjunktur. Für den Prognosezeitraum ist daher mit weiter rückläufigen Bauinvestitionen zu rechnen.
Abweichend vom zugrundeliegenden Konjunkturbild dürften die Bauinvestitionen im ersten Quartal jedoch ausgeweitet worden sein. Dafür spricht die starke Produktionsausweitung im Januar, die wohl auf eine milde Witterung und sinkende Krankenstände zurückzuführen war. Dabei ist vor allem die Produktion im Ausbaugewerbe deutlich gestiegen. Ebenso deutet die höhere Kapazitätsauslastung auf zunehmende Bauinvestitionen im ersten Quartal hin.
Für die kommenden Quartale zeichnen die Indikatoren ein düsteres Bild: Zwar hellten sich die ifo Geschäftserwartungen im März etwas auf, nachdem sie im Februar einen historischen Tiefstand erreicht hatten, sie verweilten aber weiterhin auf äußerst niedrigem Niveau. Die Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe sind im Januar nochmals deutlich gesunken und lagen rund 20 Prozent unter ihrem Vorjahresniveau.
Im Wohnungsbau war der Rückgang mit rund 35 Prozent sogar noch deutlich ausgeprägter. So niedrige Niveaus der Auftragseingänge waren zuletzt im Jahr 2015 verzeichnet worden. Entsprechend geht der Auftragsbestand bereits seit Anfang 2022 kontinuierlich zurück. Ebenso sind die Baugenehmigungen seit dem vergangenen Sommer rückläufig. Ursächlich für die schwache Entwicklung sind die stark gestiegenen Zinsen, die die Nachfrage nach Immobilienkrediten einbrechen ließen. Im Januar 2023 hat sich das nominale Volumen für Neukredite im Wohnbau gegenüber dem Vorjahr halbiert.
Im Wirtschaftsbau haben im vergangenen Jahr vor allem Lieferengpässe zu einem Produktionsrückgang geführt. Zu Beginn des Jahres 2023 sind sowohl Geschäftslage als auch die Erwartungen der Branche aufwärtsgerichtet. Ebenso sind die Produktionserwartungen stabil. Der Auftragsbestand ist weiterhin hoch. Auch die Baugenehmigungen entwickelten sich gut. Obwohl der Wirtschaftsbau weniger sensibel auf Zinsveränderungen reagieren dürfte als der Wohnungsbau, wird auch hier das Zinsumfeld im weiteren Prognosezeitraum voraussichtlich dämpfend wirken. Die öffentliche Hand hat zuletzt drastisch weniger Straßenbauaufträge ausgereicht. Allerdings dürften weniger stark steigende Baupreise perspektivisch insgesamt wieder mehr staatliche Baumaßnahmen zulassen.
Alles in allem gehen die Institute von einem Rückgang der Bauinvestitionen in diesem Jahr um 4,9 Prozent sowie um 1,2 Prozent im Jahr 2024 aus. Die Einbußen im Wohnungsbau werden mit 6,7 Prozent im Jahr 2023 und 2,4 Prozent im Jahr 2024 wohl am größten sein. Die Investitionen im Wirtschaftsbau werden in diesem Jahr wohl um 1,3 Prozent und im Jahr 2024 um 0,2 Prozent zurückgehen. Der öffentliche Nichtwohnbau dürfte hingegen, angesichts des niedrigen Niveaus zum Jahreswechsel, in diesem Jahr um 4,1 Prozent zurückgehen und im nächsten Jahr um 2,6 Prozent ausgeweitet werden.