News/Pressemitteilung

Kurz vor der Wahl - Interview im BAURUNDBLICK

Im Gespräch mit Dr. Volker Müller, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Niedersachsen e.V.

Am 9. Oktober 2022 wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Was sind die wesentlichen Forderungen der niedersächsischeh Wirtschaft?

Dr. Volker Müller, Hauptgeschäftsführer Unternehmerverbände Niedersachsen e.V.

 

Dr. Volker Müller: Nachhaltige Rohstoffpolitik ist die Basis einer erfolgreichen Wettbewerbs- und Innovationspolitik, um industrielle Wertschöpfungsketten, Wohnungsbau und Verkehrsinfrastruktur zu gewährleisten. Die Politik muss die Wettbewerbsfähigkeit erhalten, Planungssicherheit für kapitalintensive Investitionen schaffen und Genehmigungsverfahren durch ein einheitliches und schlankes Regelwerk wesentlich vereinfachen. Genehmigungsverfahren sind jedoch zunehmend unübersichtlich. Neue Gesetze und Regulierungen muss die Clearingstelle der Landesregierung deshalb auf jeden Fall bereits bei ihrer Entstehung überprüfen.

Für die Baubranche fordern wir den dringend notwendigen Ausbau der Bundesfernstraßeninfrastruktur, eine Neuverhandlung des Landes-Raumordnungsprogramms (LROP) zur Sicherung künftiger Rohstoff-Abbaugebiete und die Akzeptanz für Deponien der Klasse I sowie den verstärkten Ausbau von Deponien der Klasse II.

Wie sehen Sie Niedersachsen im bundesweiten Länderranking?

Dr. Volker Müller: Im bundesweiten Länderranking muss Niedersachsen sich nicht verstecken. Bei der Anzahl neu errichteter Wohngebäude standen wir 2020 und 2021 in Deutschland auf Platz vier. Die Bauwirtschaft hat im Jahr 2020 in
Niedersachsen insgesamt 30.272 Wohnungen fertiggestellt – 6,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Trotzdem werden allein in Niedersachsen bis zum Jahr 2040 222.000 zusätzliche Wohnungen benötigt. Um dieses Ziel zu erreichen, darf die
Politik Bauvorhaben nicht mit falscher Rohstoffpolitik und rechtlichen Hürden im Baustoff-Recycling ausbremsen. Auch in diesem Kontext sind Bürokratieabbau, eine Digitalisierung der Verwaltung und vereinfachte Genehmigungsverfahren
Grundvoraussetzungen.

Der Bund hat mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz(LNNG) sowie dem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG) Maßnahmen zur Beschleunigung und Vereinfachung von Vergabeverfahren beschlossen. So werden u.a. die Anwendung der Mittelstandsklausel in § 97 Abs. 4 ausgesetzt, die Informations- und Wartepflicht sowie die damit zusammenhängende Regelung zur Unwirksamkeit ausgesetzt und die besondere Dringlichkeit der Vergabe in der Regel als gegeben vorgesehen. Darüber hinaus bestehen nunmehr Überlegungen, sich auch für den Wohnungsbau am LNNG bzw. am BwBBG zu orientieren sowie generell das Vergaberecht dahingehend zu überarbeiten.

Wie beurteilen Sie diese Initiative?

Dr. Volker Müller: Das LNG-Beschleunigungsgesetz zeigt, was möglich ist, wenn es politisch gewollt ist. So muss es auch beim Wohnungsbau laufen. Wir brauchen eine sichere Plattform für digitale Genehmigungsverfahren. Stattdessen
hat sich die Dauer von Genehmigungsverfahren im Umweltbereich seit 2010 fast verdoppelt. Insbesondere die aufgrund europäischer Vorgaben entfallene materielle Präklusion zieht Gehnehmigungsverfahren in Deutschland unverhältnismäßig in die Länge – ebenso das zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens mögliche Verbandsklagerecht, das Verbänden die Möglichkeit gibt, gegen Verfahren gerichtlich vorzugehen, auch wenn sie selbst weder räumlich noch sachlich direkt betroffen sind. Daher sollten Verbände nur gegen Vorhaben klagen dürfen, wenn ihre Belange direkt betroffen sind oder es keine ordnungsgemäße Beteiligung im Genehmigungsverfahren gab.

Die Höchstdauer von Genehmigungsverfahren muss verbindlich begrenzt werden, es müssen gesetzliche Stichtagsregelungen mit möglichst kurzen Standardfristen für Einsprüche gelten. Bei neuer Gesetzgebung muss der bürokratische Mehraufwand begrenzt bleiben. Außerdem sollte der Bund häufiger Planungsverfahren per Gesetz beschließen und damit aus dem Verwaltungsverfahren herauslösen. Aufgrund des Ampel-Versprechens, 1,6 Millionen neue Wohnungen in vier Jahren zu bauen, besteht hier dringend unbürokratischer Handlungsbedarf.

Der Ukraine-Krieg hat deutlich gemacht, wie wichtig die Rohstoffversorgung für unser Land ist. Einen Beitrag zur Schonung mineralischer Rohstoffreserven könnte der verstärkte Einsatz von Recycling-Baustoffen bei Bauvorhaben sein. Trotz der im Niedersächsischen Abfallgesetz verankerten Vorbildfunktion der öffentlichen Hand und der Verpflichtung, auf die Verwendung von Recycling-Baustoffen in Ausschreibungen hinzuwirken, schreiben viele niedersächsische Kommunen weiterhin die Verwendung von natürlichen Gesteinen vor. Wie könnte man aus Ihrer Sicht zu einer Verstärkung des Einsatzes von Recycling-Baustoffen bei öffentlichen Bauvorhaben kommen?

Die Entsorgungskosten haben sich zum echten Baukostentreiber entwickelt – aufgrund unausgewogener Rahmenbedingungen für das Recycling und für die Verwertung von mineralischen Bauabfällen sowie schwindender Deponiekapazitäten. Die Mantelverordnung hilft in der verabschiedeten Fassung nicht, weil sie diesem Trend nicht entgegenwirkt. Hier besteht dringender Nachbesserungsbedarf, der mit Hilfe der Öffnungsklausel auf Länderebene eingebracht werden sollte.

Sekundärbaustoffe sollten bei technologischer Eignung und Einhaltung der Anforderungen an die Umweltverträglichkeit bei Ausschreibungen bevorzugt eingesetzt werden – vor allem bei Landes- und Gemeindeausschreibungen. Stattdessen
werden Sekundärbaustoffe weiterhin benachteiligt, weil beispielsweise im Verkehrsbau explizit ausschließlich natürliche Gesteinskörnungen zugelassen werden. Dies widerspricht den Vorgaben aus dem Kreislaufwirtschaftsgesetz und dem Niedersächsischen Abfallgesetz.

Besonders spannend werden Bauvorhaben wie der Wissenschafts- und Technologiepark Hannover sein. Hier wird ein sechs- bis siebengeschossiges Gebäude mit einem Stahlbetonkern und einem darauf stehenden Holzbau geplant.
Lediglich das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss bilden einen massiven Stahlbetonsockel.

Innovationen für Recycling und das Schließen von Stoffkreisläufen sowie moderne Ideen beim Thema Baustoffe müssen künftig verstärkt im Fokus der Politik stehen.