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Niedersachsen als Flächenland ist auf eine gute verkehrliche Infrastruktur angewiesen

Baurundblick: Interview mit Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung.

Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung
Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung

Vor kurzem ist in Wilhelmshaven das erste deutsche LNG-Terminal in Betrieb gegangen. Die Erstellung ist in rekordverdächtiger Zeit erfolgt, was maßgeblich durch das sog. LNG-Beschleunigungsgesetz erreicht worden sein dürfte. Dieses sieht im Bereich des Vergaberechtes u.a. eine Abkehr vom sonst strikten Gebot der Aufteilung in Fach- und Teillose vor. In die gleiche Richtung, aber nicht ganz so weit, geht auch das Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr. 

Sollte Ihrer Ansicht nicht vor diesem Hintergrund über eine generelle Lockerung des strikten vergaberechtlichen Gebotes zur Aufteilung in Fach- und Teillose nachgedacht werden? 

Minister Olaf Lies: Dass das LNG-Terminal in Wilhelmshaven nur 194 Tage nach dem ersten Rammschlag eröffnet wurde, zeigt, dass wir Projekte schnell vorantreiben können, wenn wir die Herausforderungen gemeinsam angehen. Das ist ein wichtiges Signal für die Bürger und die Wirtschaft. Große Herausforderungen bedeuten für Niedersachsen auch, dass sich große Möglichkeiten ergeben. Der Standort Wilhelmshaven zeigt eindrucksvoll, dass die Industrie der Energie folgt. Das bedeutet, dass die Investitionen, die wir heute tätigen, Magneteffekte für weitere Ansiedlungen und neue, gute Arbeitsplätze haben. Niedersachsen ist das Tor und die Drehscheibe für Erneuerbare Energien und Hotspot für nachhaltiges Wirtschaften.  

Mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz sollen die deutschen LNG-Terminals so schnell wie möglich gebaut werden, um die Abhängigkeit von russischem Gas vermindern zu können. Die Terminals liegen im überragenden öffentlichen Interesse und im Interesse der öffentlichen Sicherheit. Bei der Abkehr vom strikten Gebot der Losaufteilung in den beiden angesprochenen Bereichen handelt es sich um Sonderfälle. Mit den beschleunigten Beschaffungsprozessen für die Bundeswehr soll eine zügige Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte erreicht werden. Auch daran besteht ein überragendes öffentliches Interesse. Das Gebot der Aufteilung in Fach- und Teillose soll auch kleine und mittlere Unternehmen in die Lage versetzen, sich an Ausschreibungen im öffentlichen Sektor unmittelbar zu beteiligen. Die niedersächsische Wirtschaft ist überwiegend von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt. Es gibt in Niedersachsen etwa 288.000 solcher Unternehmen – darunter befinden sich 83.000 Handwerksbetriebe. Der Mittelstand ist also das Herz und der Motor der Wirtschaftsentwicklung in Niedersachsen. Diesen Unternehmen möchten wir weiter alle Möglichkeiten einräumen, direkt an öffentliche Aufträge zu gelangen – und nicht nur als Nachunternehmer zu eingeschränkten Konditionen.  

Eine Zusatzanfrage.
Anfang Januar hat die SPD bei der Bundes-Jahresauftakt-Klausur verkündet, beim Infrastruktur-Ausbau den „Turbo einlegen“ zu wollen und eine Offensive für die Erneuerung der Infrastruktur in Deutschland zu starten. Genannt wurden dabei neben der Schieneninfrastruktur auch die Straßen und Brücken. 
 

Welche zusätzlichen Möglichkeiten sehen Sie für einen „Niedersachsen Turbo“ im Rahmen Ihrer Ressortzuständigkeiten?  

Minister Olaf Lies: Niedersachsen bringt sich intensiv in den gemeinsamen „Pakt zur Beschleunigung von Planung und Genehmigung“ des Bundes und der Länder ein, um Beschleunigungsmöglichkeiten im Zuständigkeitsbereich des Bundes umzusetzen, denn gerade große Infrastrukturprojekte von Deutscher Bahn und Autobahn GmbH sind keine Angelegenheiten der Länder. Von unserer Seite gibt es zahlreiche Verbesserungsvorschläge, weil wir die Zeichen der Zeit erkannt haben und bereits 2019 einen Interministeriellen Arbeitskreis gebildet haben, der 2021 Handlungsempfehlungen für Beschleunigungen gegeben hat. Die Länder unterstützen den Bund beispielsweise bei Personalkapazitäten und verbessern die Zusammenarbeit der verschiedenen Verwaltungsbereiche. Hier ist die Digitalisierung eine Riesenchance, um in einer Oberfläche verschiedene digitale Behördengänge zusammenzuführen.  

Überhaupt ist die Digitalisierung der Schlüssel für die so dringend notwendigen Vereinfachungen, die zu einer bürgernahen, wirtschaftsfreundlichen und schnellen Verwaltung führen müssen. Dass so etwas geht, haben wir in Niedersachsen Ende 2021 mit Verabschiedung der Digitalnovelle der niedersächsischen Bauordnung bewiesen. Die Digitalisierung von Baugenehmigungsverfahren wird hiernach bis Ende des Jahres verpflichtend, zahlreiche materielle Regelungen wurden ebenfalls verabschiedet, die allesamt zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren in dem Bereich beitragen werden. 

Außerdem haben wir bundesgesetzliche Regelungen im Landesrecht und wenden die dort geschaffenen Beschleunigungsmöglichkeiten konsequent an, zum Beispiel bei Ersatzneubauten, für die Planfeststellungsverfahren nicht mehr zwingend vorgeschrieben sind. Ein hervorragend funktionierendes Zukunftsprojekt ist auch das Building Information Modeling. Diese BIM-Methode beschleunigt – durch digitale Planung – innovative Bauprozesse. Unsere Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr arbeitet bereits seit 2017 mit der BIM-Methode. Derzeit werden 15 Pilotprojekte in elf regionalen Geschäftsbereichen durchgeführt. Gerade im Bereich des Straßen- und Brückenbaus nimmt Niedersachsen eine Vorreiterrolle ein.  

Neben dem Straßenbau ist für uns eine zentrale Angelegenheit, Niedersachsens Rolle als Windenergieland Nummer 1 auszubauen. Der so genannte Planvorbehalt ermöglichte den Gemeinden bisher eine Steuerung des Zubaus von Windanlagen. Das heißt: Mit einer positiven Standortzuweisung im Plangebiet konnte der übrige Planungsraum vom Anlagenzubau freigehalten werden. Diese Planung war komplex und fehleranfällig und verlangsamte die Verfahren. Mit dem Windflächenbedarfsgesetz des Bundes werden den Ländern verbindliche Flächenziele vorgegeben. Der planerischen Steuerung durch die Ausweisung von Windenergiegebieten kommt nur noch dann Ausschlusswirkung zu, wenn die Flächenziele erreicht werden. Andernfalls sind Windenergieanlagen im gesamten Planungsraum privilegiert zulässig. Durch die neue Planungsmethode wird die Planung beschleunigt. Auch hier bietet die Digitalisierung große Beschleunigungspotenziale. Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Digitalisierung im Bauleitplanverfahren sieht ein digitales Verfahren als Regelfall vor. Zudem sollen Fristen zur Genehmigung verkürzt werden. 

Bei allen Vorhaben sollte eins klar sein: Ohne die Kommunen und die Einwohnerinnen und Einwohner geht es nicht. Wir müssen auf den Dialog setzen, denn der Widerstand gegen Projekte kostet am meisten Zeit. Wenn wir Projekte frühzeitig und transparent vorstellen, minimieren wir das Konfliktpotenzial. Das ist der eigentliche Beschleuniger für Infrastrukturprojekte. 

Der Breitbandausbau stellt eine riesige Herausforderung dar, der sich die Bauwirtschaft stellt. Unsere Unternehmen stellen leider immer wieder fest, dass die schnelle Verlegung von Glasfaserkabeln massive Probleme bereitet. Dies gilt insbesondere für sogenannte niedertiefe Verlegungsarten, bei denen die Kabel oft nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche verlegt werden. Schäden bei nachfolgenden Tiefbauarbeiten sind hier vorprogrammiert und bereits jetzt tägliche leidvolle Praxis. Wir fordern daher einen behutsamen Einsatz dieser Verlegetechniken und eine maßgenaue Erfassung und Dokumentation der Lage der Kabel, um Bauunternehmen, Netzbetreiber und Kunden vor Schäden zu bewahren. Wie stehen Sie zu dieser Thematik? 

Minister Olaf Lies: Ausbau und Erneuerung unserer Infrastruktur sind gesellschaftliche Kernaufgaben für die kommenden Jahre. Dazu gehört auch und gerade der Breitbandausbau. Durch den Einsatz neuer Bauverfahren können wir den Ausbau schneller und einfacher machen. Das wird aber nur gelingen, wenn wir gemeinschaftlich vorgehen: Telekommunikationswirtschaft, Bauunternehmen und Verwaltungen. 

Die Verlegung in geringerer Tiefe kann nur gelingen, wenn dafür klare Regeln bestehen, die allen Beteiligten die notwendige Rechtssicherheit geben. Mit der DIN 18220 – an der mein Haus aktiv mitwirkt – wird es erstmals ein verbindliches Regelwerk geben. Diese muss aber auch in der Praxis umsetzbar sein. Denn häufig liegt es in der Hand der jeweiligen Straßenbauverwaltung, beispielsweise eine Änderung störender Leitungen anzuordnen, so dass ein sicheres und effizientes Arbeiten möglich ist. 

Der Einsatz neuer Bautechniken erhöht die Bedeutung genauer Vermessung und zentraler Dokumentation. Auch hier sind wir tätig: Bereits im vergangenen Jahr habe ich im Bundesrat gefordert, dass der Bund sein Gigabit-Grundbuch auch für die Dokumentation von Leitungen nutzbar macht und praxistaugliche Einsichtsrechte gewährt. Dazu stehen wir mit dem Bund bereits in produktivem Austausch und erarbeiten gerade Regelungsvorschläge. 

Fest steht aber, dass sich Niedersachsens Weg, die Digitalisierung voranzutreiben, in vielen Bereichen auszahlt: im Bereich des Einsatzes und der Regulierung neuer Bauverfahren sind wir Vorreiter unter den Bundesländern. Das kann für unsere Bauwirtschaft einen Standortvorteil bedeuten: Wer hier früh investiert, kann sich eine Spitzenposition im Land und voraussichtlich auch über unser Bundesland hinaus erarbeiten. Das Wirtschaftsministerium steht für die fachliche Beratung und die Herstellung von Kontakten gern zur Verfügung. 

Die Landesstraßen in Niedersachsen sind teilweise in einem maroden Zustand. Trotzdem sollen die Investitionen beim Landesstraßenbau erheblich gekürzt werden. Bislang lagen diese bei über 100 Mio. €, nunmehr sind nur noch 82 Mio. € vorgesehen.  

Wie stehen Sie zu diesem Widerspruch? 

Minister Olaf Lies: Niedersachsen als Flächenland ist auf eine gute verkehrliche Infrastruktur angewiesen. Dafür sind erhebliche Investitionen erforderlich. Das kommt nicht nur dem Individualverkehr zugute, sondern ist mit Blick auf eine echte Mobilitätswende auch für den ÖPNV entscheidend. Auch die angestrebten Verbesserungen im Radwegenetz müssen wir im gesamten Kontext mitdenken, damit wir einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. 

Im Doppelhaushalt 2022/2023 hat die Vorgängerregierung die Mittel für die Landesstraßen und ihre Radwege ab 2022 stufenweise abgesenkt. Diese Entwicklung geht in die falsche Richtung. Wir müssen für den Nachtrag zu 2023 und den regulären Haushalt ab 2024 eine ausgewogenere Finanzierung organisieren.  

Denn eines ist klar: Jeder Euro, der in unsere Infrastruktur investiert wird, ist gut investiert, denn eine jede unterlassene Sanierungsmaßnahme wird in Zukunft zu noch höheren finanziellen Belastungen des Landeshaushaltes führen. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass die Finanzmittel für Straßen- und Radwegebau wieder steigen – und auf höherem Niveau als zuletzt versteigt werden.

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