„Leichter, schneller, günstiger“ steht über dem Gesetzentwurf zur Änderung der Niedersächsischen Bauordnung, der sog. „Umbauordnung“; wie beurteilen Sie diesen Entwurf, den Wirtschaftsminister Lies kürzlich vorgelegt hat?
Robert Marlow: Als Architektenkammer Niedersachsen begrüßen wir die vorgeschlagenen Änderungen weitgehend und unterstützen das Ziel der Landesregierung, das Bauen im Bestand zu erleichtern. Der Klimaschutz und die Erhaltung der Biodiversität sind die zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Die von Minister Lies vorgelegten Änderungen sind ein wichtiger Baustein, um den Klimaschutz voranzubringen und sogar zusätzlich die Baukosten zu senken. Zentral ist dabei der neue § 85a NBauO-E. Demnach müssen die Bauteile eines Gebäudes nach einem Umbau oder eine Aufstockung nicht mehr können als vorher – Ausnahme Klimaschutz. Aber auch die vorgeschlagene Reduzierung des Grenzabstandes und der Wegfall der Stellplatzpflicht im Wohnungsbau erleichtern das Bauen erheblich.
Trotz der vielen guten Ansätze sehen wir an verschiedenen Stellen des Gesetzesentwurfs noch Änderungsbedarf. Wir fordern unter anderem die Einführung eines qualifizierten Freiflächengestaltungsplanes, um mit jedem Bauvorhaben auch die Klimaresilienz und die Förderung der Biodiversität zu stärken. Als einen weiteren wichtigen Punkt, den die Pläne von Minister Lies nicht aufgreifen, ist die Ausweitung einer verpflichtenden Anzeige für den Abriss („Abrissanzeige“) zu nennen. Bisher gilt nur für bestimmte Abrissarten eine Anzeigepflicht. Deshalb besitzen die Kommunen und Bauaufsichtsbehörden keine Übersicht über das komplette Abrissgeschehen und die tatsächliche Bebauung von Ort, was vor allem die Nutzung von Potenzialen des Bestandes erschwert. Zudem sehen wir beispielsweise noch in Detailpunkten des Grenzabstandes und den Möglichkeiten, von den Vorgaben der NBauO und Technischen Baubestimmungen abweichen zu dürfen, weitere Potenziale für Vereinfachungen.
Welche Forderung hat Ihr Berufsstand an die Bundesregierung?
Robert Marlow: Die Bundesregierung sollte insbesondere vor dem Hintergrund des Klimaschutzes jetzt die Weichen für eine zukünftig erforderliche Abrisszustimmung stellen. Dies sollte mit der Vorlage eines Rückbau- und Verwertungskonzeptes, einer Bilanzierung zum Umfang der vernichteten grauen Energie in Form eines THG-Nachweises und konsequenter Weise dem daraus folgenden Nachweis über die Entrichtung der THG-Verbrauchsgebühr verknüpft werden. Aber auch das Bauplanungsrecht ist reformbedürftig. Beispielsweise steht das Gebot aus § 34 BauGB, wonach sich ein Gebäude in die vorhandene Bebauung einfügen muss, einer Wohnraumschaffung mittels Hinterland-Bebauung oft im Weg.
Weiter halten wir es für wichtig, sinnvolle Anpassungen des BGB vorzunehmen, die es zukünftig ermöglichen würden, Abweichungen von geltenden Normen und Standards einfacher vereinbaren und die dort verankerten „Anerkannten Regeln der Technik“ und damit einhergehenden für Investoren und Planende großen Haftungsrisiken für eben diese Situationen aussetzen zu können.
Neubau oder Sanierung der Bestandsbauten. Worauf sollte der Fokus zukünftig gelegt werden?
Robert Marlow: Ganz klar auf die Sanierung des Bestandes. Hier besteht das größte Einsparungspotenzial an CO2-Emissionen durch die im Bestand gebundene „graue Energie“. Ein Abriss und folgender Neubau wird nie CO²-sparender sein, als eine wie auch immer geartete Sanierung. Wir können unserer immensen gesellschaftlichen Verantwortung nicht mehr gerecht werden, wenn wir immer weiter Bauen ohne die Bestandsgebäude zu ertüchtigen und/oder bestehende Strukturen zu nutzen.
Die Umwidmung von Bürogebäuden in Wohnungsbau wird verstärkt diskutiert. Sehen Sie hier ein Potenzial, um tatsächlich nachhaltig Wohnraum zu schaffen?
Robert Marlow: Ja, auf jeden Fall besteht hier viel Potenzial für neue und nachhaltige Wohnungen. Und natürlich müssen Quartierslösungen geschaffen und die Bedürfnisse der Menschen vor Ort berücksichtigt werden. Im letzten Jahr hat die Bundesregierung mit ihrem 14-Punkte-Maßnahmenplan wichtige Impulse für bezahlbaren und klimagerechten Wohnraum geschaffen. Im Rahmen dieses Planes wurde das immense Potenzial der Umwidmung deutlich.
Bis zu 235.000 Wohnungen könnten durch die Umwandlung von Gewerbeimmobilien zu Wohnraum entstehen. Für die Eigentümer dieser Immobilien gibt es ab diesem Jahr ein zusätzliches KfW-Förderprogramm, um nachhaltige Wohnungen zu fördern und Leerstand zu beseitigen. Auch immer mehr Kommunen bieten verschiedene Fördermöglichkeiten an – das ist ganz klar ein starkes Signal und der Schritt in die richtige Richtung. Solche Förderprogramme, die starke Anreize für (Wohnungs-)Umbau und -Umnutzung geben, unterstützen wir ausdrücklich und würden uns wünschen, dass diese noch mehr in Anspruch genommen werden würden.