Der Bauindustriepräsident Hübner hat in Zusammenhang mit der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichtes bemerkt, dass die Bauindustrie das Fundament des Wohlstands baut. Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sowie Anreize für private Investitionen müssten Priorität haben. Wie sollen Bund, Länder und Kommunen die notwendigen Investitionen finanzieren?
Tim-Oliver Müller: Investitionen statt Subventionen! Dieses Motto ist mir besonders wichtig, wenn wir über den Einsatz und die Verteilung knapper Steuermittel sprechen – auf allen Ebenen. Natürlich muss der Staat seinen Aufgaben im Rahmen der Daseinsvorsorge nachkommen, keine Frage, die Diskussionen der vergangenen Wochen haben allerdings gezeigt, dass es ohne eine klare Priorisierung von Aufgaben und Ausgaben nicht gelingen wird, trotz der angespannten Haushaltssituation die hoheitlichen Aufgaben des Staates zu erfüllen. Infrastrukturinvestitionen gehören eindeutig dazu. Um planbare und verlässliche Investitionen tätigen zu können, müssen mehrere Ebenen betrachtet werden. Bevor über zusätzliche Mittel gesprochen wird, müssen die vorhandenen Mittel effektiv eingesetzt werden. Für die Maßnahmenträger, ob Deutsche Bahn, Wasserstraßenverwaltung oder Autobahn GmbH kommt es dabei auf überjährige Finanzierungsvereinbarungen an, damit diese in die Zukunft planen können. Jährliche Mittelzuweisungen oder gar Verteilungskämpfe unter den Verkehrsträgern sind mit ein Grund für den hohen Investitionsstau, unter dem viele leiden. Damit der eingesetzte Euro auch ein Euro bleibt, muss auch bei der Projektumsetzung mehr Effizienz einziehen. Eine durchgehende Digitalisierung, eine kooperative Projektzusammenarbeit sowie eine faire Risikoverteilung sind hierbei nur einige Sichtwort, die gerade in Zeiten knapper Mittel noch mehr Beachtung finden sollten. Fakt ist aber auch, dass wir mehr Mittel im System brauchen. Teile der Politik fordern daher eine Ausweitung der Schuldenbremse, für die ich derzeit aber wenig Spielraum sehe. Und wenn, dann werden die Herausforderungen in der Infrastruktur allein durch mehr Geld nicht weniger, sondern es braucht ohne Wenn und Aber dringende Strukturveränderungen in den Prozessen auf Bauherrenseite, in der Arbeitsteilung entlang der Wertschöpfungskette sowie in der Art, wie wir auf den Baustellen zusammenarbeiten. Und wir sollten bei den Diskussionen um mehr Mittel immer eines im Hinterkopf behalten: Ob Ausweitung der Schuldenbremse, Fondsmodelle oder Sondervermögen – es gibt keine wundersame Geldvermehrung. Die Kosten zur Refinanzierung trägt am Ende der Staat, bzw. jede und jeder einzelne von uns. Und gerade deshalb muss Investition immer mit einem effizienten Mitteleinsatz einhergehen.
Die geplante Energiewende enthält immense Herausforderungen an den Ausbau der Leitungsnetze. Welche politischen Bedingungen müssen aus Sicht der Bauindustrie gegeben sein, damit die hohen Ziele tatsächlich umgesetzt werden können?
Tim-Oliver Müller: Der Ausbau von Strom- und Fernwärmenetzen und die Ertüchtigung von Gasleitungen für Wasserstoff ist eine Mamut-Aufgabe Um diese rechtzeitig bereitstellen zu können, braucht der Leitungsbau verlässliche und dauerhaft gültige Rahmenbedingungen in zeitlicher und finanzieller Hinsicht. Eine unverbindliche kommunale Wärmeplanung leitet sicherlich einen Prozess des Umdenkens in Energiefragen ein, führt aber nicht zu einer belastbaren Aussage hinsichtlich des Zeitpunktes und der Quantität zu bauender Leitungen in den Ortsnetzen. Vielmehr verunsichert dies die Versorgungsunternehmen als Auftraggeber, die mit Investitionszurückhaltung reagieren. In der Folge droht, dass qualifizierte Mitarbeiter abwandern und dauerhaft für den Leitungsbau verloren sind. Mehr und schnellere Verbindlichkeit sind also unerlässlich. Für den Fernwärme-, Strom- und Wasserstoffleitungsbau wäre eine befristete Öffnung des Arbeitszeitschutzgesetzes hilfreich, damit das komplette Tageslicht für den Bau effektiv genutzt werden kann. Politische Unterstützung täte uns auch beim Bau der neuen Stromtrassen von Nord nach Süd gut. Dieser erfordert tausende von Schwertransporten, jeder von 100 Tonnen und mehr, damit die erforderlichen Kabel zum Einbauort kommen. Genehmigungszeiträume von sechs Monaten und mehr sprengen jeden Zeitrahmen. Hier sollte deutlich mehr Kapazität in die Prüfung und Ausstellung solcher Papiere gesteckt werden, die schon so lang beschworene Vereinfachung der Genehmigungsverfahren muss endlich her. Generell wünschen wir uns Vorschläge der politischen Entscheider, die auch mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen von Planern, Behörden und der Industrie in der gewünschten Zeit durchführbar sind. Die Stromautobahnen haben heute schon einen Verzug von mehr als fünf Jahren. Das sollte sich nicht für die anderen Elemente der Energiewende so wiederholen. Beispielsweise erfordern die jährlich zu bauenden 100.000 Hausanschlüsse in der Fernwärme eine Verachtfachung aller benötigten Kapazitäten. Das muss abgestimmt und organisiert werden.
Nur durch die Schaffung von Wohnraum, insbesondere auch bezahlbaren Wohnraum, kann die Wohnungsqualität in unserem Land als wichtige Standort und Wachstumsvoraussetzung erhöht werden. Kann der serielle und modulare Bau hier eine wesentliche Stütze sein?
Tim-Oliver Müller: Weniger Kosten, weniger Zeit, weniger CO2 – die Vorteile liegen auf der Hand. Das serielle und modulare Bauen ist ein ideales Beispiel, wie durch industrielle Prozesse noch effektiver und integrierter geplant und gebaut werden kann. Durch eine durchgehende und auf die Bauausführung abgestimmte, voll digitalisierte Planung können Prozesse optimiert, Schnittstellen reduziert und die Fehleranfälligkeit minimiert werden. Beim seriellen Bauen wird die in Deutschland traditionelle Trennung zwischen Planung und Ausführungsleistung also durchbrochen. Auch für unser Personal ist weniger Zeit bei Wind und Wetter auf der Baustelle ein großes Plus und erhöht die Attraktivität unserer Branche angesichts des Fachkräftemangels. Denn eines ist klar: Wir müssen künftig mit weniger Menschen mehr bauen. Der serielle und modulare Wohnungsbau ist daher in den Dimensionen Produktivität, Kosten-Nutzen und Arbeitgeberattraktivität ein WinWin-Win-Thema – es wird aber immer zusätzlich zum konventionellen gebraucht und wird diesen nicht ersetzen.
Wie will die Bauindustrie sicherstellen, dass bei dem konjunkturell prognostizierten Personalabbau nicht weitere Fachkräfte die Baubranche verlassen?
Tim-Oliver Müller: Die Branche per se ist nicht in der Krise, aber der Wohnungsbau bereitet uns große Sorgen. Ich sage das so deutlich, weil ich unsere Branche nicht schlechtreden möchte – denn das Fachkräfteproblem haben Sie richtigerweise angesprochen. 17.000 Rentenabgängen im Jahr 2022 stehen 13.000 begonnene Ausbildungsverhältnisse im Jahr 2023 gegenüber, das heißt wir haben hier einen Gap. Allein aufgrund dieses demografischen Effekts ist es wichtig, dass neue Fachkräfte gewonnen und bestehende Fachkräfte gehalten werden. Das geht zuallererst dadurch, den Job so attraktiv wie möglich zu machen: Das fängt bei passenden und flexiblen Arbeitszeiten an und hört bei einer guten und fairen Bezahlung auf. Auch die Digitalisierung wird uns dabei helfen, Fachkräfte zu sichern: Sie wird uns nicht nur dabei unterstützen, unsere Produktivität zu steigern. Sie macht den Bau auch effizienter und als Arbeitgeber interessanter. Was uns im Kern aber ausmacht, ist dabei immer der enge Bezug zur Praxis. Wer bei uns arbeitet, schafft Werte mit den Händen, mit klugen Ideen, mit modernster Technik. Und was er oder sie heute erbaut, wird im besten Fall gebaute Umwelt für Generationen nach uns. Bau ist damit nicht nur ein Job – Bau ist Identifikation. Wenn wir es schaffen, das zu vermitteln, sind wir einen großen Schritt weiter. Zum Schluss möchte ich eines noch sagen, weil es mir wirklich wichtig ist: Wir können es uns nicht leisten, einen Großteil des gut ausgebildeten weiblichen Personals links liegen zu lassen. Denn der Bau partizipiert von verschiedenen Blickwinkeln, von verschiedenen Arbeits- und Herangehensweisen, von Diversität auf der Baustelle. Der Frauenanteil in den Ingenieurstudiengängen ist über die letzten Jahre kontinuierlich gestiegen und die Studentinnen schließen mit Bestnoten ab. Die Unternehmen müssen aber noch stärker zeigen, welche Möglichkeiten den Job im Bauunternehmen interessant macht. Wir unterstützen das beispielsweise mit unserem Frauennetzwerk Bau, weil wir damit erstmals ein Forum geschaffen haben, das genau diesen Punkt thematisiert.