Pressemeldung

MOBILITÄT muss Verkehrsträger übergreifend und auch neu gedacht werden

Baurundblick: Im Gespräch mit Timo Quander, Präsident der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr

Timo Quander, Präsident der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr
Timo Quander, Präsident der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr

Welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie für den Straßenbau und die Verkehrsinfrastruktur in Niedersachsen, insbesondere im Hinblick auf die konjunkturelle Lage?

Timo Quander: Bei der Fürsorge für unsere Infrastruktur auf Niedersachsens Bundes- und Landesstraßen müssen wir als NLStBV heute vielen veränderten Randbedingungen gerecht werden: Klimawandel und Verkehrswende, Nachhaltigkeit, Energiewende - unter all diesen Aspekten müssen wir die Anforderungen an und für die Mobilität anders als bisher bewerten.

Der Megatrend Mobilität bewegt unsere Zukunft. Mobilität muss Verkehrsträger übergreifend und vor allem auch neu gedacht werden. Wie sie aussehen kann und wird, hat massiven Einfluss auf das Funktionieren der gesamten Weltwirtschaft. Hier muss weit mehr als über den niedersächsischen regionalen Tellerrand hinausgeschaut werden. Die Menschen werden sich weiter von A nach B bewegen, bewegen müssen. Nur der Antrieb, wie sie dorthin kommen, wird morgen anders sein als heute.

Auf unsere Straßen und Brücken in Niedersachsen als Deutschlands zweitgrößtem Flächenland bezogen bedeutet das: Unsere Straßeninfrastruktur wird weiter sicher und zuverlässig gebraucht, egal welche Art von Mobilität letztendlich darauf stattfindet. Eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur ist besonders für die wirtschaftliche Entwicklung im ländlichen Raum in Niedersachsen unabdingbar. Genauso wichtig ist Mobilität auch für uns Menschen: Wir müssen unsere Arbeitsstelle erreichen, wir wollen Familie und Freunde besuchen. Mobilität ist auch ein Baustein in ein gesellschaftlich funktionierendes Miteinander, mithin  Daseinsvorsorge!

Dafür braucht es Geld und Ressourcen. Die konjunkturelle Lage in Deutschland, in Europa insgesamt, die begrenzt zur Verfügung stehenden Finanzmittel, der Fachkräftemangel, Klimafolgenanpassung, häufigere und schwerwiegender Naturereignisse, auf die wir unsere Infrastruktur vorbereiten müssen, machen es uns nicht einfacher. Mit einem nachhaltigen Infrastrukturmanagement wollen und werden wir als NLStBV uns diesen Herausforderungen stellen.

Welche finanziellen Mittel stehen der Landesbehörde zur Verfügung, um notwendige Straßenbauprojekte zu realisieren und wie werden diese priorisiert?

Timo Quander: Die aktuellen Haushalte des Bundes und des Landes für das Jahr 2024 decken den diesjährigen Bedarf an Investitionsmitteln sowohl auf Landes- als auch auf Bundesstraßen ab. Finanziert werden sowohl bei Bund als auch bei Land wie im Vorjahr vorrangig Bauprojekte unter anderem aus dem Bereich Brückenerhaltung und -ersatzneubau. Die Bauprogramme werden jährlich mit den zuständigen Ministerien aufgestellt, die einzelnen Bauprojekte besprochen, abgewogen und priorisiert. Der Finanzbedarf für die Folgejahre wird wiederum rechtzeitig mit den jeweiligen Ministerien abgestimmt, die uns auf Bundes- bzw. Landesebene die entsprechenden Mittel bereitstellen.

Die zur Verfügung stehenden Mittel sind - nicht nur in unserem Ressort - begrenzt. Der Blick nach Berlin zu den Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2025 macht die Einschränkungen inzwischen auch auf Bundesebene deutlich, mit denen wir zukünftig umgehen müssen. Auf Landesebene macht es der Erhaltungszustand unserer Straßen und Brücken in Niedersachsen insgesamt auch weiterhin notwendig, Schwerpunkte im Landesstraßenbauprogramm zu setzen. Hiervon sind übrigens alle 13 Geschäftsbereiche der NLStBV gleichermaßen betroffen.

Nicht jedes Bauprojekt kann sofort umgesetzt werden. Das ist aber nicht alleine von den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln und Ressourcen abhängig. Die Priorisierung der Baumaßnahmen erfolgt auch in Abhängigkeit von der Verkehrsbedeutung, den Verkehrsstärken, dem Schadensbild, der Situation auf möglichen Umleitungsstrecken und der Bedeutung des Streckenabschnittes oder der Brücke im gesamten Netz. Darüber hinaus sind vorgeschaltete Planungszeiten, gegebenenfalls notwendige Planfeststellungsverfahren, vorgegebene Vergabeverfahren und -fristen zu berücksichtigen.

Unsere Kompetenz liegt darin, die Ressourcen und Finanzmitteln, die uns zur Verfügung stehen, optimiert, effektiv und zielgerichtet dafür einzusetzen, die Straßen und Brücken in Niedersachsen bestmöglich auf Stand und für den Verkehr verfügbar zu halten.

Gibt es besondere Projekte oder Initiativen, die zukünftig vor der Landesbehörde liegen?

Timo Quander: Eine unsere großen Herausforderungen sind die Brücken, die in die Jahre gekommen sind. Rund zwei Drittel der Brücken in Niedersachsen sind in den 1950er und -60er Jahren gebaut worden. Sie wurden anhand der Verkehrszahlen, Größe und Gewicht der Fahrzeuge aus dieser Zeit bemessen.

Wir haben diese Brücken analysiert und aktuell 150 Bauwerke identifiziert, die in den nächsten Jahren prioritär ersetzt werden müssen. Sie sind durch die Belastung des heutigen Schwerlastverkehrs einer dauerhaften Überlastung ausgesetzt. Das gilt insbesondere auf Strecken mit besonders hoher Verkehrsbelastung. Bei allen kritischen Brücken kann es zu weiteren Verkehrseinschränkungen und Brückensperrungen kommen.

Die NLStBV hat eine langfristig ausgerichtete Handlungskonzept Brücke für den Ersatzneubau und die systematische Brückenerhaltung erarbeitet. Diese enthält einen genauen Projektplan für jede dieser 150 Bauwerke. Ziel des Handlungskonzeptes ist, die Leistungsfähigkeit und Sicherheit der niedersächsischen Straßeninfrastruktur auf effiziente Weise zu erhalten. Sie ist mit dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung abgestimmt und wird fortlaufend den aktuellen Anforderungen angepasst.

Der dramatische Einsturz der Carolabrücke in Dresden unterstreicht in allen Facetten, wie dringlich dieses Thema in ganz Deutschland ist. Für eine Schockstarre ist keine Zeit, der Handlungsbedarf gewaltig. Die NLStBV verfolgt das Geschehen an der Carolabrücke sehr genau. Insbesondere die Analyse des Hergangs und der Ursache sowie neue Erkenntnisse greifen wir sofort auf. Wir überprüfen unsere eigenen Brücken auf Ähnlichkeiten und dies fließt dann umgehend in die ohnehin kontinuierlich laufende Beurteilung unserer Brücken ein.

Das Handlungskonzept Brücke enthält kurzfristige, mittelfristige und langfristige Maßnahmen, mit denen Leistungs- sowie Effizienzsteigerungen in der Organisation, in der Planung oder im Bau umgesetzt werden. Kurzfristig werden zum Beispiel Ressourcen der NLStBV im Brückenersatzneubau gebündelt und Planungen von Brückenersatzneubauprojekten priorisiert. Mittelfristig werden Planungsbeschleunigungen, innovative Bauvergaben und Bauweisen sowie eine Optimierung von Planungs- und Baumethoden umgesetzt.

Aber nicht nur die Straßen und Brücken stehen bei uns auf der Agenda. Klimaschutz und Klimawandel, Energiewende, Digitalisierung oder BIM sind nur herausgegriffenen Aspekte, durch die sich die Mobilität nachhaltig verändern wird. Die technischen Ansprüche und Anforderungen werden sich dem anpassen müssen. Ein Beispiel wird die Straßenausstattung sein, die Grundlage für autonomes Fahren ist. Ebenso werden wir zur weiteren Entwicklung der E-Mobilität unseren Beitrag leisten. Als Planfeststellungsbehörde führen wir außerdem auch Verfahren für Energieleitungen durch, über die künftig der Strom von der Küste ins Binnenland kommt.

Thema Fachkräftemangel: Wie geht die Landesbehörde mit dem Fachkräftemangel im Bauwesen um, und welche Maßnahmen werden ergriffen, um dem entgegenzuwirken?

Timo Quander: Der Fachkräftemangel ist längst nicht mehr nur ein Thema der Ingenieurberufe und Pflegebereiche. Inzwischen leiden alle Branchen mehr oder weniger unter dem Fach- und Arbeitskräftemangel. Nach wie vor sind aber die Ingenieure und technischen Berufe besonders betroffen - und wir als Straßenbauverwaltung ganz massiv. Es klemmt an vielen Stellen, weil nicht nur Fachkräfte, sondern damit auch das Fachwissen fehlt.

Fachkräftemangel betrifft die gesamte Baubranche eklatant. Als NLStBV sind wir aber für die Daseinsvorsorge Mobilität zuständig. Wir können unsere Aufgaben nicht einfach reduzieren oder liegen lassen. Das stellt uns vor große Herausforderungen. Wir können auch nicht jede Leistung „schnell mal nach außen vergeben“, weil in der gesamten Bauwirtschaft genauso das Personal fehlt.

Wir, nicht nur die NLStBV, sondern genauso Baugewerbe, Bauindustrie, Baubüros, Ingenieurbüros, die Autobahngesellschaft und andere Bauverwaltungen, stehen als Arbeitgeber in Konkurrenz zueinander. Aber wir brauchen uns gleichzeitig, um unsere Aufgaben erfüllen zu können. Wir sind alle ein Stück weit davon abhängig, dass ausreichend kompetentes Personal an allen Stellen eingesetzt werden kann. Wir alle müssen uns als kompetente, verlässliche Partner füreinander aufstellen.

Was tun wir als Landesbehörde gegen den Fachkräftemangel? Wir haben inzwischen ein eigenes Team Recruiting bei uns installiert. Die Kolleginnen und Kollegen stellen sich hier breit auf, um die NLStBV in ihrer Vielfältigkeit als Arbeitgeber präsenter zu machen. Wir gehen gezielt auf Berufsmessen, Universitätsveranstaltungen oder wie gerade in diesem Sommer auf die Ideen-Expo. Wir schauen beim Recruiting aber nicht nur auf die reine Nachwuchswerbung junger Arbeitskräfte. Gerade auch ältere, erfahrene Menschen und Quereinsteiger aus ähnlichen Arbeitsfeldern wollen wir für uns gewinnen. Sie bringen oft nicht nur Lebens-, sondern auch umfassende Berufserfahrung mit. Wir haben uns als Arbeitgeber für das audit berufundfamilie® zertifizieren lassen. Wir können unsere Präsenz in der Fläche mit unseren dreizehn regionalen Geschäftsbereichen nutzen und dem Personal oft auch einem Arbeitsplatz in der Nähe des Wohnortes anbieten. Dank der fortschreitenden Digitalisierung und technischen Möglichkeiten können viele Aufgaben auch von einem anderen Ort aus erledigt werden.

Wir haben das Ziel, für alle künftigen und vor allem auch für die bereits bei uns arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.

 

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