Wie beurteilen Sie den Arbeitsmarkt im Zuständigkeitsbereich der Regionaldirektion Niedersachsen-Bremen für das Bauhauptgewerbe?
Johannes Pfeiffer: Die Wirtschaft insgesamt steht derzeit vor großen Herausforderungen. Konjunkturflaute, US-Zölle, Lieferkettenschwierigkeiten, gestiegene Kosten, transformatorische Notwendigkeiten – das sind nur einige Beispiele, die zu wirtschaftlicher Unsicherheit führen und sich auch auf den Arbeitsmarkt auswirken. Davon bleibt auch das Bauhauptgewerbe nicht unberührt. So hat sich die Kurzarbeit nach der Corona-Zeit zwar wieder stabilisiert, allerdings auf einem höheren Niveau als 2019. Eine positive Entwicklung ist bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu verzeichnen. Auch wenn es hier zuletzt einen leichten Rückgang gegeben hat, ist sie doch insgesamt im Fünfjahresvergleich deutlich angestiegen – eine Entwicklung, die noch stärker ist als bei der Gesamtbeschäftigung in unserem Zuständigkeitsbereich. Ein Großteil des Zuwachses wurde durch ausländische Beschäftigten getragen. Trotz der gesamtwirtschaftlichen Abschwächung bleibt die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften im Bauhauptgewerbe hoch. Die Unternehmen stehen vor der Herausforderung, offene Stellen zügig zu besetzen – insbesondere angesichts der demografischen Entwicklung und der Konkurrenz anderer Branchen um qualifizierte Arbeitskräfte. Wir gehen davon aus, dass sich diese Nachfrage – auch vor dem Hintergrund der angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung - noch verstärken wird.
Im vergangenen Jahr haben Sie auf die neuen Regegelungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes verwiesen. Konnten weitere bürokratische Prozesse vereinfacht werden und die Fachkräfteeinwanderung insgesamt erleichtert werden?
Johannes Pfeiffer: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiger Schritt, um Betrieben den Zugang zu qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland zu erleichtern. Mit der jüngsten Reform wurden mehrere Prozesse vereinfacht. Ein Beispiel ist das sogenannte „Beschleunigte Fachkräfteverfahren“, das eine engere Abstimmung zwischen Ausländerbehörden, Auslandsvertretungen und der Bundesagentur für Arbeit ermöglichen und die Verfahrenszeiten verkürzen soll. Hierzu hat das Land Niedersachsen zum Juli dieses Jahres die Zentralstelle für das beschleunigte Fachkräfteverfahren an den Start gebracht (https://beschleunigtes-fachkraefteverfahren.niedersachsen.de). Zudem ist die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse stärker praxisorientiert und flexibler gestaltet worden, sodass Unternehmen schneller mit internationalen Fachkräften zusammenarbeiten können. Auch die Möglichkeit, dass Personen mit Berufserfahrung nach Deutschland kommen können, selbst wenn sie keine formale Ausbildung nach deutschen Standards vorweisen können, ist eine deutliche Erleichterung. Natürlich bleibt die Herausforderung, die Verfahren trotz der Fortschritte weiter schlank und verlässlich zu gestalten. Wir sind in engem Austausch mit Betrieben und Sozialpartnern, um bestehende Hürden Schritt für Schritt abzubauen.
Der Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen hat mit seinen Ausbildungszentren eine Kooperation mit Usbekistan abgeschlossen und bildet derzeit im Rahmen eines Ausbildungsprogrammes 13 junge Menschen aus Usbekistan in seinen Ausbildungszentren aus. Durch die Neustrukturierung der Welcome Center in Niedersachsen ist auch Usbekistan als Fokusland mit aufgenommen worden. Welche Vorteile kann das für die Unternehmen haben?
Johannes Pfeiffer: Die Aufnahme Usbekistans als Fokusland in die neue Struktur der Welcome-Center ist für Betriebe in Niedersachsen ein klarer Gewinn – allein deshalb, weil die Betriebe dadurch künftig eine fundierte Beratungsstruktur vorfinden werden. Insgesamt schafft die Einbindung Usbekistans in die Welcome-Center-Struktur eine noch verlässlichere Grundlage für erfolgreiche Beschäftigungsprojekte – auch für das Bauhauptgewerbe. Für die Bundesagentur für Arbeit ist Usbekistan ja tatsächlich schon länger Fokusland. Das heißt: Wir bauen dort aktiv Strukturen für die Gewinnung von Fachkräften auf – ein klares Signal, dass wir in der Zusammenarbeit mit Usbekistan großes Potenzial sehen. Unternehmen profitieren somit von vereinfachten Verfahren und besser abgestimmten Abläufen bei der Rekrutierung, Einreise und Integration internationaler Fachkräfte. Alles zusammen kann Unternehmen entlasten und erhöht die Chancen, dass Fachkräfte langfristig im Betrieb bleiben.
Die Babyboomer werden in den nächsten Jahren den Arbeitsmarkt verlassen. Was empfehlen Sie den Firmen, um die freiwerdenden Stellen wieder besetzen zu können?
Johannes Pfeiffer: Der demografische Wandel stellt alle Branchen, auch das Bauhauptgewerbe, vor große Herausforderungen. Unternehmen sollten frühzeitig auf eine mehrgleisige Personalstrategie setzen: Da geht es erstens um Nachwuchsförderung. Diese muss oberste Priorität haben, etwa durch Kooperation mit Schulen, frühzeitige Berufsorientierung und praxisnahe Ausbildung. Ebenso wichtig ist die Bindung älterer Beschäftigter. Ältere Mitarbeitende können durch flexible Arbeitszeitmodelle, Gesundheitsförderung und Wissenstransfer länger im Erwerbsleben gehalten werden. Der dritte Punkt ist die Zuwanderung, über die wir ja schon sprachen. Internationale Fachkräfte sind ein wichtiger Baustein. Hier unterstützen wir mit Beratung, Anerkennungsverfahren und Vermittlung über unsere Programme. Hinzu kommt das Individualkundengeschäft der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung, die gemeinsam mit dem Arbeitgeber-Service ausländische Kunden und Unternehmen unterstützt. Und als vierten Punkt möchte ich Digitalisierung und Arbeitsorganisation nennen. Auch technische Innovationen können helfen, Produktivität zu sichern und Fachkräfteengpässe abzufedern. Die Bundesagentur für Arbeit steht den Betrieben zur Seite – mit Beratung, Qualifizierungsförderung und Unterstützung bei der Rekrutierung, national wie international.
