Welches ist gegenwärtig das zentrale Thema der Unternehmerverbände Niedersachsen?
Benedikt Hüppe: Das zentrale Thema der niedersächsischen Wirtschaft ist zurzeit unsere Wettbewerbsfähigkeit. Ohne sie verlieren wir unsere Industrie, international tätige Mittelständler, nachgelagerte Unternehmen sowie wichtige Investitionen am Standort Deutschland. Die Zeiten, in denen wir uns auf unserer Innovationskraft und Produktqualität ausruhen konnten, sind lange vorbei. Andere Länder haben uns längst überholt, der Fachkräftemangel bremst die Transformation und steigende Abgaben und langwierige Bürokratie stellen unsere Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und Deutschland als ernstzunehmenden Player insgesamt ins Abseits.
Der Fachkräftemangel beschäftigt die niedersächsischen Unternehmen intensiv und wird möglicherweise in den nächsten Jahren viele Unternehmen „bremsen“. Wo sollte der Gesetzgeber reagieren?
Benedikt Hüppe: Die Aussicht auf unseren Arbeitsmarkt ist besorgniserregend, aber nicht aussichtslos. Mit flexiblen Arbeitszeiten, dem Abbau von Frühverrentungsanreizen, gezielter Weiterbildung, einer digital vernetzten Verwaltung und einer echten Bürgergeldreform können Unternehmen Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze sichern, effizienter arbeiten, neue Fachkräfte rekrutieren und auf die individuellen Bedarfe ihrer Beschäftigten eingehen. Im Zuge der Fachkräftesicherung spielt die Beschleunigung der Fachkräftezuwanderung eine wesentliche Rolle. Es braucht schnellere Verfahren, weniger Bürokratie und eine umfassende Digitalisierung der Prozesse. Dabei dürfen wir jedoch nicht das noch ungenutzte Potenzial im Inland vergessen: Berufsorientierung an Schulen muss praxisnaher werden, um Jugendliche direkt in eine Ausbildung oder ein Studium zu lenken. Der Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen hat dazu 2023 die erste Branchen-Bildungspartnerschaft mit unserer Initiative SCHULEWIRTSCHAFT Niedersachsen abgeschlossen. Damit kein Jugendlicher verloren geht, fordern wir eine Bildungs-ID. Eltern brauchen verlässliche Betreuungslösungen und pflegende Angehörige müssen entlastet werden, um beruflich aktiv zu bleiben. Weiterbildung ist entscheidend, um Beschäftigte auf die sich wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt vorzubereiten. Und auch für fitte ältere Menschen sollte eine Weiterbeschäftigung über das Rentenalter hinaus attraktiver und leichter möglich sein.
Last but not least muss die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchteten in unseren Arbeitsmarkt und unsere Gesellschaft weiter vorangetrieben werden. Nur mit der Unterstützung bei Behördengängen, der frühkindlichen und schulischen Förderung, gezielten Sprachkursen, Weiterbildungen und Ausbildungsförderungen hat Integration eine Chance.
Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, damit die Wirtschaft, insbesondere auch die Bauwirtschaft, unter den Rahmenbedingungen des Klimaschutzes weiterhin erfolgreich arbeiten kann?
Benedikt Hüppe: Die Bauwirtschaft steht vor mindestens drei Herausforderungen: Sie muss trotz Fachkräftemangel die Klimawende umsetzen, die Rohstoffe dazu werden knapper und teurer und wachsende Kosten drücken ihre Wirtschaftlichkeit. Der Maßnahmenkatalog lässt sich ziemlich konkret benennen: Bürokratieabbau: Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen digitalisiert und deutlich vereinfacht werden, ergänzt durch verbindliche Fristen für Projektbearbeitungen. Die Clearingstelle für Bürokratieabbau in Niedersachsen, die Bundesinitiative aber auch Ergebnisse aus Verbändeanhörungen sollten verstärkt und ernsthaft eingebunden werden. Praxistaugliche Regulierung: Neue Gesetze sollten vor ihrer Einführung auf ihre wirtschaftliche Umsetzbarkeit geprüft werden. Klare Leitlinien, etwa zur rechtssicheren Anwendung des Lieferkettengesetzes, der EU-Taxonomie oder der Ersatzbaustoffverordnung, sind dringend erforderlich. Kreislaufwirtschaft und Innovation: Die Gleichstellung von Sekundär- und Primärrohstoffen bei gleicher Qualität muss in Vergabeverfahren verankert werden. Rechtliche Hürden, wie die Einstufung von Recyclingmaterialien als Abfall, sind abzubauen. Technologien wie Carbon Capture, Utilization and Storage (CCUS) bieten enorme Potenziale. Energieversorgung: Wettbewerbsfähige Energiepreise für energieintensive Branchen unter anderem durch weniger staatliche Abgaben, reformierte Netzgebühren und den Einsatz günstigerer Energiequellen, der Ausbau erneuerbarer Energien mit synchroner Netzinfrastruktur sowie die Weiterentwicklung der Wasserstoffwirtschaft bilden die Basis für eine zukunftsfähige Industrie.
Welche Forderungen haben Sie als Hauptgeschäftsführer der Unternehmverbände Niedersachsen an eine neue Bundesregierung?
Benedikt Hüppe: Die Bundesregierung muss den Schalter umlegen: weg von Überregulierung und punktueller Förderung, hin zu einer nachhaltigen Wachstumspolitik. Eine grundlegende Voraussetzung dazu ist das Vertrauen in unsere Unternehmerinnen und Unternehmer. Vertrauen schafft Tempo, verringert Komplexität und ist eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Wir brauchen eine pragmatische und ideologiefreie Agenda, die alle Akteure an einen Tisch holt und den Standort Schritt für Schritt zum Ziel führt. Unternehmen müssen ihre Ressourcen in die Transformation stecken können, statt von wachsenden Steuern, Abgaben und langwierigen Verfahren erdrückt zu werden. Unsere Klimaziele erfordern den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energietechnologien und wettbewerbsfähige Energiepreise. Den internationalen Anschluss schaffen wir nicht ohne die Digitalisierung in Wirtschaft und Verwaltung. Und all das funktioniert nicht ohne deutlich mehr Spielraum für Investitionen und gut ausgebildete Fachkräfte. Bürokratieabbau und eine umfassende Digitalisierungswende werden als Standortvorteile von unternehmerischer Seite immer wieder genannt, dies gilt auf europäischer Ebene, auf Bundesebene aber auch in den Regionen.
Welche Stelle hat das Bundesland Niedersachsen aus Ihrer Sicht hier im Ranking der Bundesländer?
Benedikt Hüppe: Die Digitalisierung, Verwaltungsmodernisierung und der Abbau bürokratischer Hürden sind der Schlüssel für einen zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort. Niedersachsen und Deutschland haben in dieser Hinsicht aber einen deutlichen Aufholbedarf. Die derzeitige Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss reformiert werden, um Blockaden zu lösen und effizienter zu werden. Wenn Niedersachsen dann noch konsequent auf smarte Regulierung und moderne Technologien setzt, könnten wir eine führende Position im bundesweiten Vergleich einnehmen. Darüber hinaus sollten EU-Vorgaben bundesweit einheitlich umgesetzt werden – ohne zusätzliche Regulierungen, die Wettbewerbsnachteile schaffen. Mit der „one in, three out“-Regel könnten überflüssige Vorschriften abgebaut werden. Zudem braucht es einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsleistungen bis 2026.